#Success-Story: Schnell wie das Licht

Auf einen Klick erkennen, ob die Netzhaut gesund ist, das geht mit der medizinischen Software RetInSight. Das Tool wurde am Augenklinikum der Medizinischen Universität Wien entwickelt und nutzt Künstliche Intelligenz (KI), um degenerative Veränderungen der Retina präziser und sehr viel schneller zu diagnostizieren als auf herkömmlichem Weg. Die Software wird nun von der RetInSight GmbH einem Spin-Off-Unternehmen der MedUni kommerziell weiterentwickelt und steht vor der Zulassung in Europa. Die FFG hat die Vorgründungsphase für den Markteintritt unterstützt.

„Als wir 2013 die Computer-Science-Gruppe im Christian-Doppler-Labor für Ophthalmologische Bildanalyse ins Leben gerufen haben, gab es Künstliche Intelligenz noch gar nicht. Wir waren Pioniere. Wir waren die Ersten, die Deep-Learning-Algorithmen zur Auswertung von OCT-Bildern der Netzhaut entwickelt haben“, sagt Univ.-Prof. Dr. Ursula Schmidt-Erfurth. Die Leiterin des Augenklinikums der Medizinischen Universität Wien (MUW) hat federführend ihre wissenschaftliche und medizinische Expertise in dieses Projekt eingebracht, das Diagnostik und Monitoring von Retinaveränderungen auf ein neues Niveau hebt.

1,5 Sekunden statt 15 Stunden

Hochauflösende Optische Koheränz-Tomographen (OCT) sind seit rund 15 Jahren auf dem Markt. Der maschinelle Augenscan liefert berührungslos und schmerzfrei datenreiche 3D-Bilder, deren kompetente Auswertung einen eigens dafür ausgebildeten Diagnostiker rund 15 Stunden beschäftigt. Mit der Software RetInSight lässt sich ein OCT-Scan der Netzhaut in nur 1,5 Sekunden auswerten. Und das Ergebnis der KI-Software ist um ein Vielfaches präziser, denn es bestimmt nicht nur, ob eine pathologische Veränderung der Makula vorliegt, sondern auch in welchem Ausmaß.

RetInSight wertet OCT-Daten in Sekunden aus
Die Auswertung eines OCT-Scans dauerte bisher sehr lang. Foto: RetInSight


Netzhauterkrankungen sind sehr häufig

„Netzhauterkrankungen, wie die Altersbedingte Makula-Degeneration, AMD, und die Diabetische Netzhauterkrankung, gehören weltweit zu den häufigsten Erkrankungen überhaupt“, beschreibt Ursula Schmidt-Erfurth die Ausgangslage. Von der AMD gibt es zwei Formen: eine trockene und eine feuchte. Bei der feuchten AMD lagert sich Flüssigkeit in winzigen Mengen in den Schichten der Netzhaut ein. Häufige Folge: Die Sehkraft lässt nach, ohne rechtzeitige Behandlung erblinden die Betroffenen. Die Behandlung ist teuer und sollte daher so gezielt wie möglich erfolgen.

Bisher unerreichte Präzision in der Diagnose dank KI

Mit RetInSight lassen sich OCT-Bilder so präzise auswerten, dass erstmals die Menge der eingelagerten Flüssigkeit im Nanoliterbereich gemessen und damit der Behandlungsverlauf im Sinne einer personalisierten Medizin präzise angepasst werden kann. Für die gezielte Therapie ist das ein echter Meilenstein. Schmidt-Erfurth: „Mit unserer Forschungsgruppe betrachten wir aber noch weitere Biomarker: etwa wandernde Zellen, die aus ihrem Verband herausgehen, sogenannte Pigmentepithelzellen, die ein Indikator sind für die trockene Makula-Degeneration; man kann aber auch die Netzhautschichten messen und dadurch bei der diabetischen Retinopathie erkennen, was an Nervengewebeschwund eingetreten ist.“

OCT-Bild der Retina, Quelle: RetInSight
OCT-Bild der Retina, Quelle: RetInSight


Die Entwicklung der KI für die maschinelle Auswertung der OCT-Daten erfolgte über die AI-Gruppe des Christian Doppler Labors und dem Vienna Reading Center. Um die maschinelle Diagnose zu validieren, wurden rund 500.000 OCT-Bilder von zertifizierten Experten, sogenannten Readern, analysiert und bewertet. „Dabei zeigte sich eine extrem hohe Übereinstimmung zwischen den Ergebnissen der Reader und von RetInSight“, berichtet Schmidt-Erfurth.

Augenscan beim Optiker

Nach 7 Jahren Forschung und Entwicklung im akademischen Kontext wird nun der Markteintritt vorbereitet. Dazu braucht es Zertifizierungen nach ISO- und CE-Normen sowie die entsprechenden medizinischen Zulassungen. Damit die Auswertung durch die Künstliche Intelligenz als medizinisches Verfahren anerkannt wird, müssen die Ergebnisse  maximal zuverlässig sein. Zentral sind aber auch Fragen der IT- und Datensicherheit und vor allem die Benutzerfreundlichkeit der Softwareoberfläche.

Bis Mitte 2021 rechnet RetInSight-Geschäftsführerin Corinna zur Bonsen-Thomas mit der Zulassung durch die europäischen Behörden. Ab dann kann die cloudbasierte Software im Verband mit OCT-Geräten genutzt werden. Die Real-Time-Ergebnisse von RetInSight ermöglichen neben der zuverlässigen Diagnose auch ein unkompliziertes und schnelles Netzhaut-Screening und -Monitoring nicht nur bei Augenärzten, sondern in Zukunft großflächig bei Optikern, aber auch beispielsweise in Diabetes-Praxen. „Das Verfahren lässt sich überall dort einsetzen, wo Menschen hinkommen, die zwar schlecht sehen, aber nicht zu einem Augenarzt gehen“, sagt Dr. Amir Sadeghipour, gleichfalls von der MUW kommend, der die Produktentwicklung im Spin-Off leitet. „Dabei könnten Veränderungen in der Netzhaut frühzeitig erkannt und in der Folge besser behandelt werden.“

Damit Forschungsleistung einen Marktwert bekommt

Univ.-Prof. Dr. Ursula Schmidt-Erfurth

„Die Unterstützung durch die FFG in der Vorgründungsphase war wesentlich, weil sonst die ganze Weisheit niemals die Mauern der Universität verlassen hätte“, unterstreicht die Spitzenforscherin Univ.-Prof. Dr. Ursula Schmidt-Erfurth. „Die Gründung des Spin-off-Unternehmens RetInSight, zu der sich mehrere Mitglieder des akademischen Teams zusammengeschlossen haben, musste vorbereitet werden. Zusätzlich zur wissenschaftlichen Expertise brauchte es aber auch Marktforschung, betriebswirtschaftliche Abwägungen und die Frage, was so ein Algorithmus können muss, damit er auch in der klinischen Routine reibungslos funktioniert. Die FFG war in dieser Hinsicht absolut der Schlüssel dazu, dass das, was hier ‚Made in Austria‘ an IT geschaffen wurde, auch tatsächlich einen Marktwert bekommt und nach außen geht.“

Kontakt

RetInSight GmbH
Elisabethstraße 13/1/13
1010 Vienna, Austria

contact@retinsight.com
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